Argumentationshilfe zum Sonntagsschutz
Argumentationshilfe: Warum sich die EKHN für den freien Sonntag engagiert
Warum sich die EKHN für den freien Sonntag engagiert
Sieben Impulse zum Nachdenken (Juni 2021)
I.
Der freie Sonntag ist nicht die Ursache von Krisen
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Engagement der EKHN für den freien Sonntag ist ein Engagement für den freien Sonntag und nicht gegen Einzelhandel und Innenstädte.
Ganz im Gegenteil ist aus Sicht der EKHN ein starker Sonntagsschutz ein hohes Gut auch für die Menschen, die im Einzelhandel tätig sind und für ihn Verantwortung tragen, das zudem auch zur Belebung der Innenstädte beitragen kann.
Von Seiten des Handels wie der Kommunen wird glaubhaft betont, dass auch sie den Sonntagsschutz nicht prinzipiell infrage stellen wollen. Die angestrebten Lockerungen sollen aber dabei helfen, das Überleben des Handels und der Innenstädte zu sichern.
Aus Sicht der EKHN löst eine Lockerung des Sonntagsschutzes jedoch nicht die strukturellen Probleme des Handels und der Städte.
Die Schwierigkeiten, vor denen Einzelhandel und Innenstädte fraglos stehen, sind nicht durch den starken Sonntagsschutz verursacht - das ist sogar die Meinung vieler Verantwortlicher in Handel und Kommunen. Der Strukturwandel, dem sie sich stellen müssen, gründet nicht im arbeitsfreien Sonntag.
Daher können die Ursachen dieser Schwierigkeiten auch nicht durch eine Schwächung des Sonntagsschutzes behoben werden.
II.
Der freie Sonntag hilft, Krisen zu bewältigen
Der starke Sonntagsschutz in Deutschland geht auf rechtliche Regelungen zurück, die in der Weimarer Zeit getroffen und unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg bekräftigt worden sind. Die heute gültige Rechtslage gründet in der Übernahme der entsprechenden Passage aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz:
„Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“ (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung).
Sowohl die Zeit, in der die Weimarer Reichsverfassung entstand, als auch die Entstehungszeit des Grundgesetzes waren Zeiten größter gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen und wirtschaftlicher Not.
Die rechtliche Absicherung des arbeitsfreien Sonntags ist also kein Luxusgut, das man sich gesellschaftlich nur leisten kann, wenn es keine Krisen zu bewältigen gilt. Ganz in Gegenteil war damals offensichtlich die Auffassung, dass zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen gemeinsame freie Zeit unverzichtbar und unersetzlich ist.
Alle Verantwortlichen der EKHN sind überzeugt, dass auch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen nur durch eine starke gemeinsame Anstrengung bewältigt werden können, bei der die Solidarität und das Engagement aller Menschen in unserem Land nötig sind.
Solidarität setzt Vertrautheit miteinander über berufliche und wirtschaftliche Bezüge hinaus voraus. Gesellschaftliches Engagement und das gemeinsame Anspannen aller Kräfte sind nur möglich, wenn es auch gemeinsame Zeiten der Entspannung gibt, die die Regeneration der Kräfte ermöglichen.
Daher sind wir auch in der jetzigen Zeit der Überzeugung, dass zu den unverzichtbaren Gütern einer freien und leistungsstarken Gesellschaft ein starker Schutz des arbeitsfreien Sonntags gehört.
III.
Ausnahmen vom Sonntagsschutz brauchen schon immer gute Gründe
Ausnahmen vom starken Sonntagsschutz sind schon in der Weimarer Zeit nur möglich gewesen, wenn dafür gute Gründe vorgebracht werden konnten.
Wörtlich heißt es damals in der entsprechenden Verordnung: Zahlenmäßig begrenzte Ausnahmen sind nur an Sonn- und Feiertagen zulässig, „an denen besondere Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen“ (Verordnung über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe und in Apotheken vom 5. Februar 1919, Reichsgesetzblatt 1919).
Diese Vorgabe eines notwendigen Sachgrundes bzw. Anlassbezuges für Ausnahmen vom starken Sonntagsschutz gilt bis heute bundesweit – und somit sowohl in Hessen als auch in Rheinland-Pfalz.
So ist etwa eine Pressemeldung des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahre 2017 über eine nachträglich als unzulässig beurteilte Sonntagsöffnung in Worms vom Dezember 2013 mit den Worten überschrieben: „Kein verkaufsoffener Sonntag ohne Sachgrund“ (BVerwG 8 CN 1.16 - Urteil vom 17. Mai 2017).
IV.
Die Entscheidung treffen die zuständigen Verwaltungen, nicht Kirchen oder Verbände
Zuständig für die Anerkennung von Ausnahmen vom starken Sonntagsschutz und die Zulassung von verkaufsoffenen Sonntagen sind die jeweiligen kommunalen Aufsichtsbehörden bzw. Verwaltungen.
Keine Kompetenz, über die Zulassung von verkaufsoffenen Sonntagen zu entscheiden, haben dagegen die lokalen Interessenverbände oder sogenannte „runde Tische“.
Dies wurde von dem bereits erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes mit Blick auf die Wormser Sonntagsöffnung klipp und klar festgehalten:
Die Anhörung lokaler Interessenverbände und die Kenntnisnahme von deren Argumenten entbindet die zuständige Verwaltung nicht von ihrer Verantwortung, die Vereinbarkeit der vorgebrachten Argumente und Interessen mit der geltenden Rechtslage abzugleichen und vor diesem Hintergrund zu bewerten (BVerwG 8 CN 1.16 - Urteil vom 17. Mai 2017).
Die jüngste Neufassung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes vom 13. Dezember 2019 fixiert diese Zuständigkeit nun auch explizit im Gesetzestext:
„Die Überwachung der Ladenöffnung nach diesem Gesetz ist staatliche Aufgabe. Die zuständige Behörde hat die Einhaltung dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen zu überwachen und Inhaberinnen und Inhaber von Verkaufsstellen oder Gewerbetreibende nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu beraten“ (HLöG § 10).
V.
Klare Zuständigkeiten stärken den gesellschaftlichen Frieden
Die klare Zuweisung der Zuständigkeit für die Zulassung oder Verweigerung eines verkaufsoffenen Sonntags an die zuständigen staatlichen Stellen trägt erheblich zum sozialen Frieden und zum konstruktiven Miteinander aller gesellschaftlichen Akteure bei.
Die EKHN bringt sich mit ihrem Engagement an vielen Orten gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen ein und genießt selbst an vielen Stellen die tatkräftige Unterstützung durch unzählige gesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen.
Dieses für die Gesellschaft fruchtbare Miteinander wird nachhaltig gestört, wenn der Eindruck erweckt wird, als würden die EKHN oder die mit ihr zusammenwirkenden gesellschaftlichen Verbände über rechtliche Entscheidungsbefugnisse verfügen, was im Zusammenleben erlaubt ist und was nicht.
Dass in einem Gemeinwesen unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Interessen haben, ist der Normalfall. Unfrieden entsteht aber hieraus erst dann, wenn einzelne dieser Gruppen über die Kompetenz verfügen, darüber zu befinden, welche Interessen zum Zuge kommen und welche nicht.
Kirchen, Gewerkschaften, Handelsverbände und sonstige Interessenvertreter kooperieren zum Wohl des Gemeinwesens in dem ihnen vorgegebenen rechtlichen Rahmen und erfüllen diesen mit Leben. Das wird erheblich erschwert, wenn sie zugleich mit ihnen eigentlich fremden Zuständigkeiten belastet werden.
Für die rechtliche Regelung des Zusammenlebens, die Überprüfung und Durchsetzung der Einhaltung dieser Regeln sind in einem freiheitlichen Rechtsstaat aus guten Gründen die hierfür zuständigen legislativen, judikativen und exekutiven Institutionen verantwortlich.
Diese müssen die entsprechenden Entscheidungen treffen und die dabei anfallenden Streitigkeiten austragen. Dafür genau sind sie da.
Kirchen, Gewerkschaften und Verbände haben dagegen aus gutem Grund unmittelbar keinerlei staatliche Kompetenzen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass in einer pluralen Gesellschaft ein fruchtbares Miteinander zum Wohle aller gestaltet werden kann.
VI.
Gleiches Recht für alle: Keine Sonderbehandlung beim starken Sonntagsschutz
Kirchen und Gewerkschaften haben in unserer Gesellschaft spezifische Aufgaben. Ganz bestimmt nicht zählt zu diesen Aufgaben die Pflicht, an allen Orten über die Einhaltung des geltenden Rechts in Sachen Sonntagsschutz zu wachen.
Darum ist es nicht sachgemäß, Kirchen und Gewerkschaften vorzuwerfen, sie würden nicht alle fragwürdigen Sonntagsöffnungen juristisch überprüfen lassen.
Es ist verständlich, dass es als großes Unrecht wahrgenommen wird, wenn fragwürdige Sonntagsöffnungen in einem Fall rechtlich verhindert werden, während sie in benachbarten Kommunen unbeanstandet bleiben.
Aber warum folgt daraus nicht die Konsequenz, dass die von solch ungerechter Ungleichbehandlung betroffenen Einzelhändler sich über ihre Verbände gemeinsam mit den betroffenen Kommunen mit juristischen Mitteln dafür einsetzen, dass an allen Orten die gleichen rechtlichen Maßstäbe des starken Sonntagsschutzes zur Anwendung kommen?
VII.
Kooperation statt Konfrontation
Handel und Kommunen müssen sich enormen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen stellen. Das gilt auch für Kirchen, Gewerkschaften und alle übrigen gesellschaftlichen Gruppen.
Diese Veränderungsprozesse haben ihre Gründe nicht im starken Sonntagsschutz, der in unserem Staat ein hohes rechtliches Gut mit Verfassungsrang ist.
Darum:
Was spricht eigentlich dagegen, weniger Zeit mit der Frage zu verbringen, an wie vielen Sonntagen möglicherweise noch die eine oder andere Sonntagsöffnung durchsetzbar sein könnte, als sich gemeinsam der Frage zu stellen, welche Veränderungsprozesse tatsächlich Handel und Kommunen, Kirchen und Gewerkschaften gegenwärtig so viel Mühe machen?
Warum sollten wir auf den freien Sonntag verzichten, wenn sich dadurch doch nur eines ändert – nämlich, dass wir dann auch am Sonntag vor den ungelösten Fragen stehen, die uns schon unter der Woche das Leben schwer machen.
Aber einen freien Sonntag, um mal wieder einen klaren Kopf zu bekommen und die Dinge mit etwas Abstand zu betrachten, hätten wir dann nicht mehr.
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Weitere Auskünfte erhältlich bei:
Pfr. Dr. Ralf Stroh
Theologischer Referent für Wirtschafts- und Sozialethik
Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN
Albert-Schweitzer-Str. 113-115
55128 Mainz
Telefon: 06131/2874456
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