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Pfarrer Matthias Leschhorn geht in den Ruhestand

Für das Dekanat Gießen übernahm Matthias Leschhorn (re) lange Jahre die technische Leitung des Pfingstgottesdienstes auf dem Schiffenberg

Nach 37 Jahren verabschiedet sich Pfarrer Leschhorn jetzt aus der Petrusgemeinde in den Ruhestand. Er wird am Sonntag, 13. April, 14 Uhr im Gottesdienst in der Petruskirche verabschiedet.

Das folgende Gespräch stammt aus dem Gemeindebrief Mittendrin der Gesamtkirchengemeinde Gießen Mitte.

Wie blicken sie auf rund 40 Jahre als Pfarrer zurück?
Ich war aus Überzeugung und mit großer Freude Pfarrer. Dass dieser Beruf und diese Berufung  die ganze Familie fordern, vielleicht auch mal belasten würde, wussten meine Frau Christa und ich von Anfang an. Wir haben uns trotzdem dafür entschieden, noch bevor wir verheiratet waren. Uns war klar, Pfarrfamilie sein wird kein 8-Stunden-Job werden, sondern sich über sieben Tage in der Woche erstrecken.  Wir hatten die Vorstellung von einem für alle offenen Pfarrhaus und die Idee, Freizeiten und Reisen mit Menschen unterschiedlichen Alters zu machen.
Geschmack daran habe ich während eines Spezialpraktikums bei den Ökumenische Studienreisen in Frankfurt gefunden, als ich das Grundwerkzeug für die Organisation von Freizeiten erlernt habe. Schon vorher sind wir von der Gemeinde aus mit dem Bus bis nach Marokko und Griechenland gefahren.

Warum sind Freizeitfahrten für dem Gemeinderaufbau so wichtig?
Wenn du mit anderen Menschen eine Nacht unter einem fremden Dach geschlafen hast, verändern sich die persönlichen Beziehungen. Das weiß ich von Kinder- und Konfirmandenfreizeiten, die ich angeboten habe, von Jugend-, Familien- und Seniorenreisen. In den letzten Jahrzehnten sind Beziehungen entstanden, die bis heute Bestand haben. Beispielsweise hat im Dezember 2024 den großen Weihnachtsbaum ein früherer Konfirmand mit anderen Kameraden vom Technischen Hilfswerk aufgebaut.

Welche Schwerpunkte haben Sie noch gesetzt?
Der Gottesdienst ist Zentrum kirchlicher Arbeit. Ich sehr viel Herzblut hineingesteckt. Mit Freude sage ich, dass Menschen bewusst an Gottesdiensten teilgenommen, die ich gefeiert habe. Das spüre ich bis heute. Mit der Hochschulgemeinde haben wir sehr viel zusammen gemacht. Prof.  Beutelspacher und Professor Seeger und viele andere haben hier Gottesdienste gefeiert. Aus den Kontakten zur nahegelegenen Uni- in den frühen 90ern der Impuls zur Notfallseelsorge an, zusammen etwa mit den Kollegen Armin Gissel, Thomas Born und Eckehart Landig. Opfern und Rettungskräften am Ort eines Unglücks oder bei der Verarbeitung zur Seite zu stehen, ist eine fundamentale Aufgabe der Kirche.

Wie kam es dazu, dass die große Küche im Gemeindehaus ein Herzstück der Gemeindearbeit geworden ist?Alles begann mit meinem Hobby Kochen und der Idee, auf verschiedene Weise in einer Gemeinde enge Beziehungen herzustellen. Wenn du dir in der Küche in den Finger schneidest, dann hast du eine andere Beziehung zu demjenigen, der deine Hand verbunden hat.  So habe ich Kochkurse für Männer angeboten, aus dem der spätere Männerkreis entstand. Später gab es auch Kochkurse für Kinder und Jugendliche.

Und für Paare!
Genau, verheiratet oder unverheiratet! Einige habe ich später getraut.  Zusammen mit einem Freund, einem gelernten Koch, Thomas Engel, haben wir auch große Veranstaltungen versorgt, etwa für die Notfallseelsorge bei den „Blaulichtgottesdiensten“. Bis zu 220  Einsatzkräfte aus Polizei, Feuerwehr und anderen Rettungskräften nach dem Gottesdienst zum Essen blieben. Später gesellte sich noch der griechisch-orthodoxe Pater Arsenios in der Küche dazu, der mit seiner Gemeinde oft zu Gast ist.

Um Fremde hat sich die Petrusgemeinde über viele Jahre intensiv gekümmert.
Der 1946 eröffnete Erstaufnahmestandort im Meisenbornweg liegt im Gemeindegebiet. Lange Zeit war es der zentrale Anlaufort für Flüchtlinge aus der DDR. Einige Jahre nach der Wende kamen deutschstämmige Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, Flüchtlinge aus Kosovo und Menschen aus allen Teilen der Welt, die einen Asylantrag stellen wollen. Auch eine größere Gruppe von Sinti und Roma war für eine begrenzte Zeit dort untergebracht.

Vor zehn Jahren, im Zug der großen Flüchtlingswelle 2015/2016, waren auch viele helfende Hände aus der Petrusgemeinde dabei, um die Ankommenden zu unterstützen.
Ja,  die Menschen mussten schnell praktisch versorgt werden oder ihnen musste das Ankommen erleichtert werden, mit Freizeitangeboten, Alltagsberatungen oder Sprachkursen. In allen Phasen waren wir als Petrusgemeinde mit zahlreichen Ehrenamtlichen dabei und haben sehr gut mit dem Regierungspräsidium zusammengearbeitet. Seit vielen Jahren kommen im Sommer junge Menschen aus ganz Europa für ein Workcamp nach Gießen. Sie leben in der Zeit im Gemeindehaus, werden von uns verpflegt und fahren in die Erstaufnahmeeinrichtung, um Geflüchteten, vor allem den Kindern,  Freizeitangebote zu machen

Der Meisenbornweg ist inzwischen Geschichte, die Erstaufnahme ist seit Jahren in der Grünberger Straße. Nun wird der Komplex zur Gedenkstätte, zum sogenannten Lern - und Erinnerungsort. Wie wichtig ist das für Sie?
Das liegt mir auch sehr am Herzen und ich bin gefragt worden, ob ich dem Trägerverein als Vorsitzender zur Verfügung stehen will. Am 17. Juni diesen Jahres, dem einstigen Tag der Deutschen Einheit, wird die Gedenkstätte von Bundespräsident Steinmeier eröffnet werden. Das ist ein Meilenstein meiner Arbeit.

Neben der diakonischen und sozialen Arbeit war persönliche Seelsorge aber doch auch ein ganz wichtiges Feld Ihrer Arbeit.
In der Gemeindearbeit, auch bei den gemeinsamen Reisen, habe ich zu vielen Menschen Beziehungen aufgebaut. Ich habe immer mitbekommen, wenn es dem einen oder anderen nicht gut ging und so habe ich viele Besuche gemacht. Aufsuchende Seelsorge ist das. Ich wollte nicht darauf warten, dass die Leute zu uns kommen.  Kirche soll - schlicht und einfach gesagt - zu den Menschen geht. Dazu gehört auch die Begleitung Sterbender. Ich habe viel mit der Palliativstation im Klinikum zusammengearbeitet.

Zuletzt waren Sie über längere Zeit krank. Haben Sie das Gefühl, dass der Burnout auch ein Ergebnis der Intensität der Arbeit, oft rund um die Uhr, war?
Ja. Ich habe grundsätzlich jahrelang aus dem Vollen geschöpft und sehr viel Zeit in die Arbeit gegeben. Und meine ganze Familie hat mitgemacht. Meine Frau, neben ihrem Beruf als Lehrerin, stark involviert und meine Töchter ebenfalls.  Meine Familie war und ist der wichtigste Anker in meinem Leben. Das ist nicht selbstverständlich. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar!
Außerdem will ich aber unterstreichen, dass ich nicht nur den Menschen und der Gemeinde gegeben habe, sondern ich habe auch ganz, ganz viel bekommen!
Mein Problem war, dass ich zu spät auf die Warnsignale meiner Seele und meines Körpers geachtet habe; und auf die Nase gefallen bin. Sehr schmerzlich, aber letztlich sehr heilsam. In den zurückliegenden Monaten habe ich mit Unterstützung meiner Familie und eines Psychotherapeuten sehr viel darüber gelernt, wie ich die Zeit bis zum Ruhestand und die sich anschließende Lebensphase gestalte.

Haben Sie immer offen über den Burnout geredet?
Ja, ich habe davon erzählt. Ich weiß, dass viele aus verschiedensten Gründen nicht offen über eine psychische Erkrankung sprechen. Aber, wenn ich körperlich krank bin, gehe ich zum Arzt. Wenn ich spüre, dass meine Seele Hilfe braucht, gehe ich auch zum Therapeuten. Darüber habe ich offen gesprochen.

Aber so ganz machen Sie jetzt nicht Schluss, oder?
Natürlich gehe ich in den Ruhestand und werde das jetzt genießen. Ich freue mich, ganz in Ruhe in meinem neuen Wohnort Lützellinden anzukommen. Aber, es wird einige Dinge für mich als Ruheständler geben, an denen ich nicht einfach so vorbei komme. Pfarrer bin ich mit Leib und Seele und das endet nicht am Tag meiner Verabschiedung und Entpflichtung.

(Von Matthias Hartmann)


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